Dienstag, 2. Januar 2024

Rückblick Chennai

Am Silvestertag machten wir auch eine Sightseeing-Tour in Chennai. P war krank und ich übernahm die Regie. Erstmal fingen wir mit dem Kapaleshvaarar-Tempel an. Obwohl es ein vergleichsweise kleiner Hindu-Tempel ist, waren diejenigen unter unseren Teilnehmerinnen, die zum ersten Mal in Indien waren, ziemlich beeindruckt davon (ich hatte ihn schon oft gesehen, und war jetzt erstaunt darüber, wie klein er war!). 

Der Tempel befindet sich im Stadtteil Mylapore, was "die Stadt der Pfauen" bedeutet. An den Wänden der Häuser kann man hin und wieder Bilder von Pfauen sehen, neben einer Shivalingam (einem phallischen Symbol für den Hindu-Gott Shiva). Und das kam so: Shiva (in seiner bekanntesten Darstellung tanzt er in einem Flammenkreis, mit einem Fuß hält den hässlichen kleinen Dämon der Ignoranz auf seinem Platz am Erdboden, war eines Tages sauer auf seine Frau Parvathi und verwandelte sie zur Strafe in einen Pfau. Dann wies er sie an, sie solle erstmal da bleiben, wo sie sei und Buße tun, bis er dazu bereit wäre, sie wieder zurückzuverwandeln. So geschah es. An dem Ort dieses Geschehens wurde dann der Kapaleshvara-Tempel errichtet. 

Kapaleshvaarar Tempel

Wir ließen unsere Schuhe (Sandalen, Flipflops) in den angeheuerten Rikshas zurück. In indischen Tempeln bewegt man sich immer barfuß im Uhrzeigersinn um das Innerste herum, den heiligsten Bereich, in dem Dunkelheit herrscht und man dem Gott (Shiva) Angesicht zu Angesicht begegnen kann. Man muss allerdings Hindu sein, um ins Innerste vorgelassen zu werden, und viele Inder und Inderinnen warten geduldig in langen Schlangen darauf, zum "Darshan", dieser ritualisierten Begegnung, zugelassen zu werden. Wir schlenderten in dem eher informellen Bereich des Tempelbereichs herum, in dem sich aber auch einige anbetungswürdige Schreine befinden, darunter eine in Stein gehauene Darstellung der eben erwähnten Legende, mit Parvathi als Pfau (nach vielen Jahrhunderten der Anbetung ganz schwarz und kaum zu erkennen) und die Shiva-Lingam daneben. 

In einem anderen Schrein kann man dem Stier Nandri, dem Reisetier Shivas, seine Wünsche ins Ohr flüstern, und der Strom der Besucher, die davon Gebrauch machten, riss nicht ab. In einem Winkel des Tempelbereichs sahen wir kleine gelbe Holzschaukeln, mit Fäden an die Äste eines Baums gebunden, in denen eine kleine blaue Figur sitzt, eine Darstellung vom Hindugott Krishna als Baby. Einige Inderinnen, die daneben sitzen, erklären uns, dass diese Schaukeln von Menschen aufgehängt werden, die sich ein Kind wünschen. Manchmal, wenn dann ein Kind unterwegs ist, kommen sie hinterher zurück, um ihre Schaukel wieder abzunehmen. 

Unser nächster Besuch galt dem Ramakrishna-Tempel (als "Universal Temple" gebaut), der für mich eine wichtige Bedeutung hat und vom Kapaleshvaarar Tempel gesehen um die Ecke liegt. Wir schafften es gerade noch dorthin, bevor die Tore für die Mittagspause geschlossen wurden, liefen durch den weitläufigen Garten, genossen die Stille und setzten uns, jede*r für sich, in dem großen Raum des Tempels, der für Meditation gedacht ist, auf den Boden und genossen die Stille. Im Buchladen überredete ich einige der Teilnehmerinnen, sich eine Biographie von Ramakrishna zu kaufen, die Christopher Isherwood geschrieben hat, und die das Leben dieses schillernden und einflussreichen indischen Heiligen (einige meinen: Inkarnation Gottes) sehr anschaulich schildert. Einige in der Gruppe dachten an "Hare Krishna", fingen an, von Sekten zu reden, und schienen nicht richtig zuhören zu wollen, als ich sagte, dass die Person von Ramakrishna damit überhaupt nichts zu tun hat. (Unser großes Problem: dass wir mit vorgefertigen Meinungen an die Wirklichkeit herangehen.)

Ramakrishna Tempel

Hinterher statteten wir der kleinen Kirche "Our Lady of Light", auch "Luz Church" genannt, einen Besuch ab. Sie wurde 1516 von den Portugiesen erbaut und ist eine der ältesten Kirchen der Stadt. Ihr Grundstein gilt als eines der ältesten europäischen Denkmäler in Indien. 

Kurz nachdem Vasco da Gama den Seeweg nach Indien entdeckt hatte, reisten der Legende nach am 9. März 1500 acht Franziskanerpriester von Lissabon nach Indien auf. Sie landeten in Calicut, wo drei der Brüder getötet wurden. Die anderen erreichten Cochin (Kerala) und ließen sich nieder, um die gute Nachricht zu predigen. Einige Jahre später segelten sie in den Süden, um ihre Botschaft weiter zu verbreiten. Es heißt, dass die Brüder sich in der rauen See verirrten und anfingen, zu Mutter Maria um ihre Sicherheit zu beten. Auf wundersame Weise wurden sie dann von einem geheimnisvollen hellen Licht geleitet wurden, das sie sicher zur Landung führte. Zum Gedächtnis dieses wundersamen Lichts bauten die Franziskanerbrüder daraufhin die Kirche "Nossa Senhora da Luz".

Nossa Senhora da Luz

Es fand gerade ein Gottesdienst statt (schließlich war Sonntag), und wir setzten uns in die Kirchenbänke (nach Männern und Frauen getrennt), hörten dem indischen Gesang (sehr gewöhnungsbedürftig) zu und ließen uns mit Weihwasser besprenkeln. Ich bin schon oft in dieser Kirche gewesen, aber erst heute, da wir sie im lebendigen Gebrauch sahen, berührte sie mich. Es war wirklich etwas Strahlendes in diesem kleinen Innenraum, eine lichte Zuversicht. Wir verließen die Kirche in aufgeräumter Stimmung, die nur davon gedämpft wurde, dass einer von uns beim Hindu-Tempel ihre Flipflops gestohlen worden waren und dass wir jetzt die Rikshas neu aufteilen mussten, da einige von uns zurück zum Hotel fahren wollten, während andere noch gemeinsam Mittag essen wollten. 

Ich beschloss, dass wir zum Saravanah Bhavan, einer Kette, die es inzwischen auch in vielen europäischen Städten (u.a. Stockholm) gibt, fahren sollten. Dort bestellte ich eigenmächtig für alle ein Thali, die südindische Reisplatte. Das war für viele das erste Mal. Auch die Rikshafahrer luden wir ein. Hinterher gab es etwas Durcheinander, weil die Teilnehmerin, die das Geld für alle auslegen sollte, überzeugt davon war, dass ihr an der Kasse zu viel abgenommen worden war. Die Kamera zeigte das Gegenteil. Nach einigem Hin und Her einigten wir uns darauf, dass wir als Gruppe für das "zu viel gezahlte" Geld grade stehen würden. Es wurde wieder eine Riesenrechnerei und Rupies-Scheine flatterten durch die Gegend. Nicht alle waren von dem südindischen Gericht begeistert, aber wir waren jedenfalls satt, als wir uns dann wieder in unsere Rikshas setzten und zum Hotel fuhren (dort wieder Aufregung wegen des Trinkgelds für die Fahrer - einer fühlte sich benachteiligt usw., aber so etwas gehört in Indien zum Alltag.)   


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