Sonntag, 28. Januar 2024

Noch mehr Tempel in Kanchipuram

Wir gigen heute in einen Food Stall an der Straße frühstücken. Ich aß Pori, ein frittiertes Fladenbrot, mit Sambal, Soße. Dazu ließ ich mir einen kleinen Plastiklöffel geben, weil ich meinen Spork zu Hause vergessen hatte. Im Tea Stall nebenan tranken wir Tee und gingen dann in der heißen Morgensonne weiter die Straße lang, auf der Suche nach dem Vakunta Perumal Tempel, der laut Karte zu Fuß von unserer Unterkunft zu erreichen sein sollte. Überquerten den Bahnübergang, dessen Schranke noch manuell von einem Schrankenwärter bedient wird. Bogen in eine Straße mit Wohnhäusern ab, wo ein Mann mir seinen kleinen Sohn in die Arme drückte, der ganz verschreckt und still war, aber das Lächeln, das sein Vater von ihm einzufordern versuchte, als er uns mit seinem Handy fotografierte, verweigerte. 

Gestern Abend hatten wir noch den Karnakshi Amman Tempel besucht, ein Tempel, der einer der wichtigsten Plätze in Indien für Shakti (weibliche göttliche Energie) ist. Er war sehr sauber und aufgeräumt, im Wassertank sprudelten Springbrunnen, und man konnte den Eindruck bekommen, dass man sich an einem gut besuchten Ausflugsort befand. Unser Rikshafahrer hatte uns gesagt, dass wir im Tempel zwei Stunden benötigen würden und er uns dann abholen würde. Nach einer Viertelstunde hatten wir allerdings das Areal bereits umrundet, fühlten uns etwas verloren, vielleicht auch irritiert, und beschlossen dann, die leere Zeit an diesem Ort als eine Herausforderung zu sehen. Was würde passieren? 

Tatsächlich passierte nach einer Weile etwas. Ein vergoldeter Wagen wurde aus der Tempelgarage auf den Platz vor dem Eingangn gezogen. Dahinter kam ein Stromaggregat (auch auf Rädern) und als der Dieselmoter angeworfen war, gingen am goldenen Wagen die Glühbirnen an. Die Menschen scharten sich um diesen Wagen, um ihn an verschiedenen zu berühren und dann ihre Hand zu ihrem Gesicht zu führen. Dann passierte eine Weile nichts. 

Wir unterhielten uns in der Zwischenzeit mit einer jungen Frau aus Bangalore, die in Begleitung ihres Vaters war und sehr gut Englisch sprach. Ich fragte sie, ob sie sich als Anhängerin eines bestimmten Hindugotts sehe. Sie sagte, alle Götter seien für sie gleich wichtig, am wichtigsten sei aber die Energie. Ich hätte gerne nachgefragt, wie sie das meinte, aber der Lautstärkepegel war zu hoch. Ich fragte sie, wo sie arbeitete. Bei Autodesk, antwortete sie mit einem Lächeln, als Software-Ingenieurin. Ich fragte sie, ob ihr die Arbeit gefiel. Sie bejahte, mit einem noch breiteren Lächeln. Übrigens stellte sich auch heraus, dass sie im Goethe-Institut Deutsch gelernt hatte, und wir tauschten einige Sätze auf Deutsch aus. 

Endlich wurde die Stimmung etwas dichter. Aus dem Tempel-Inneren hörten wir Trommeln und den schneidenden Ton des typischen Tempel-Blasinstruments (ich muss nachschauen, wie es heißt, ein langes Rohr mit einem Trichter am Ende und einem Mundstück wie eine Oboe), und bald kam die Göttin (in mehreren Manifestationen) auf einer Sänfte herangeschaukelt, in Gold und Glitter, bekleidet in feinen Stoffen und geschmückt mit Blumenkränzen. Dann setzte man sie auf das Podest des goldenen Wagens, platzierte einen verstaubt aussehenden Plüschlöwen zu ihren Füßen, Mobiltelefone wurden in die Höhe gereckt, einige Inder direktsendeten den Augenblick via Video-Gespräch an die Zuhausegebliebenen. Wir hatten unsere junge Inderin und ihren Vater aus den Augen verloren. Es passierte wieder eine Weile lang nichts. Ein Brahmine mit dem typischen weißen Bindfaden über dem nackten Oberkörper, der auf dem Wagen neben der Gottheit stand und sich mit einer Hand an einem der goldenen Pfeiler festhielt, die den goldenen Baldachin des Podests trugen, nahm mit der anderen Blumenspenden entgegen, die er um den Sitz der Göttin(nen) drapierte, bis kein Platz mehr war und er die vorhandenen Blumengirlanden in einen Plastikbeutel steckte, damit der wieder neue hinlegen konnte. Unterdessen tuckerte der Dieselmotor vor sich hin und verpestete die Luft. 

Als der goldene Wagen endlich in Gang gesetzt wurde, war unsere Geduld schon ordentlich auf die Probe gestellt worden. Unser Rikshafahrer hatte doch Recht mit seiner Annahme, dass wir hier zwei Stunden brauchen würden! Der goldene Wagen umrundete dann den Wassertank mit hypnotischer Musikbegleitung, hunderte von Handyfotos wurden geschossen, und als die Umrundung beendet war, wurde der Plüschlöwe an der Mähne vom Podest gereicht, bevor die Göttin von vier starken jungen Männern wieder auf ihrer Sänfte herabgehoben und in den Tempel geleitet wurde. 

Wir waren ziemlich hungrig. Auch nach zwei Stunden von unserem Rikshafahrer keine Spur. P bekam den Auftrag, am Tempeleingang zu warten, während ich die Straße nach etwas Essbarem abklapperte. Als ich unverrichteter Dinge zurückkam, sagte sie, der Rikshafahrer sei gekommen, kurz nach dem ich gegangen war, und sei dann losgelaufen, um mich zu finden, allerdings in eine andere Richtung. Wir warteten also wieder. Als er endlich kam, entschuldigte er sich etwa dreißig Mal, aber wir waren zu müde und zu hungrig, um ihm gebührend zu versichern, dass es doch kein Problem sei. 

Dann fuhr er uns zu einem Lokal und gab uns eine halbe Stunde zum Essen. Ich sagte ihm, er solle jetzt aber wirklich warten. Das Lokal war so überfüllt, dass wir keinen Platz mehr bekamen, und es waren schon so viele Leute da, die auch auf einen Platz warteten, dass wir wieder hinaus gingen. Keine Spur vom Rikshafahrer. Wir stolperten auf dem löchrigen Gehsteig zum nächsten Lokal, bei dem es nicht besser aussah, dann in eine amerikanische Fastfoodkette, wo wir aber schnell wieder das Weite suchten, um zurück zum ersten Lokal zu gehen, wo wir glücklicherweise zwei Plätze ergattern konnten, gegenüber von einem indischen Ehepaar in den Fünfzigern, die schweigend und ohne einander oder uns eines Blickes zu würdigen, ihr Essen verzehrte. Die Nudelgerichte, die wir bestellten, hatten wir schnell verschlungen, und inzwischen war auch der Rikshafahrer wieder da, der natürlich von unserer Odyssee nichts wusste und auch nichts wissen brauchte. Wir fuhren heim in unser Müllparadies, gaben ihm die vereinbarte Summe, beschlossen aber, ihn für den nächsten Tag (heute) erstmal nicht zu bestellen. 

Unser Wirt hatte versprochen, Mückenmittel für die Steckdose zu besorgen, schickte aber eine Entschuldigung, dass die Flaschen defekt gewesen seien. Glücklicherweise hatten wir tagsüber eine Tube Mückencreme gekauft, mit der wir die Nacht relativ gut überstanden - mein einziges Problem war nur, dass ich viel zu früh aufwachte. 

Und da sind wir beim Frühstück angekommen und bei unserem Fußweg zum Vaikunta Perumal Tempel, ein kleiner Tempel, der uns nach unserer Besichtigungsrunde einlud, uns im Schatten eines großes Baumes hinzusetzen und einige Zeit verstreichen zu lassen, immer wieder unterbrochen von Selfie- und Fotowünschen von indischen Familien (vor allem mit ihren Kindern). Im Inneren des Tempels, vor dem Heiligsten, übergab ich einem der Brahminen eine Blumenkette mit gelben Blumen, die ich bei einer Straßenverkäuferin gekauft hatte. Noch im letzten Augenblick fiel mir ein, dass ich dazu die rechte Hand hätte benützen sollen (in der ich aber gerade meinen Sonnenhut hielt). Prompt wies er mich zurecht, dass man Gaben nur mit der rechten Hand überreichen und entgegennehmen darf. Ich entschuldigte mich und dachte hinterher, dass ich vielleicht durch meine Gedankenlosigkeit eine richtige Blasphemie begangen, das Ritual völlig ins Falsche verkehrt hatte. Darauf folgen Reflexionen über die Abwertung der "linken Hand", der "linken Seite", und Erinnerungen an die Probleme, die ich damit als Linkshänderin schon als Kind hatte.

Ein wenig erschöpft von Kanchipuram waren wir gestern. Außerhalb der Tempel ist die Stadt chaotisch, dominiert von Motorradfahrern und überwältigendem Verkehr, außerdem war es heiß. Einfach nur eine Straße entlang zu gehen fühlte sich an wie Schwerstarbeit. An einem Teestand wollten wir Tee kaufen, doch von den vier wackeligen Pappbechern landeten zwei (mit Inhalt) im Straßendreck und die Stimmung war ziemlich weit unten. Kurz entschlossen nahmen wir (inzwischen waren wir vier, da wir zwei Teilnehmerinnen unserer Gruppe getroffen hatten) eine große Riksha zu einem Jain-Tempel (Thiruparuthikundram Sri Digambar, den wir mit Hilfe von Google Maps gefunden hatten und der etwas außerhalb der Stadt lag.   

Das war eine schöne Überraschung. Das Tor verschlossen, aber dank dem Beistand einer alten Dorfbewohnerin kam der Priester des Tempels schnell herangeschlurft und öffnete für uns. Wieder einmal die Erfahrung, dass nur die religiöse Orte eine Erholung vom indischen Alltag bieten. Der Prieser, gekleidet in einen orangefarbenen Lunghi und ein gleichfarbiges Tuch um den Oberkörper führte uns durch die Räume, zündete vor den Statuen der Jain-Gurus Butterlampen an, informierte uns über das Alter der verschiedenen Gebäudeteile (ca. 400 Jahre alt, hauptsächlich im dravidischen Stil gebaut). Nicht alles konnten wir verstehenverstehen, und als er alles gesagt hatte, was er auf Englisch sagen konnte, fing er wieder von vorne an. Wir bewunderten vor allem die Decken- und Wandgemälde im Jain-Stil, die Szenen aus der Jain-Kultur darstellten, von der wir nur wenig wussten. Es war ein anrührender Ort. So einsam, so verloren, mit einem zahnlosen, dürren Priester und seiner ebenso alten Mithelferin, und man fragt sich, was aus diesem Tempel werden soll, wenn der Priester stirbt, wer dieses Erbe übernehmen wird, die Pujas durchführt, die Butterlampen anzündet und Touristen empfängt. Auch unser Rikshafahrer, ein junger Mann, war mit uns in den Tempel gekommen, auch er war zum ersten Mal hier und sichtlich ziemlich mitgenommen. 

Nachdem wir uns zu Hause ausgeruht hatten, beendeten wir den Tag mit einer erneuten Rikshatour in die Stadt. Eigentlich wollten wir mal durch die engen Gassen schlendern, von denen wir annahmen, dass sie existierten, wir wollten den Versuch machen, Stickgarn zu kaufen, das ich bei unserem letzten Indienbesuch auf einem Markt gefunden hatte. Leider konnte unser jugendlicher Rikshafahrer (der in Begleitung seines besten Freunds war) wirklich gar kein Englisch, die Verständigung funktionierte überhaupt nicht, die Straßen, durch die wir liefen, waren eine Vorstufe der Hölle, die Suche nach Stickgarn war (natürlich) erfolglos, und zu guter Letzt fiel mir auf, dass mein Geldbeutel nicht mehr in der Tasche und die Tasche offen war. Wir wollten also so schnell wie möglich wieder nach Hause, machten nur noch an einem Straßenstand Halt, um Chappatis mit Omelette zu essen. Das war gut, aber zu üppig, und ich schlief in der Nacht wieder schlecht. 

Den Geldbeutel fanden wir dann in unserem Hostel, auf dem Fußboden, unter der Klappe meines Koffers. Wie er dorthin kam, ist eine andere Geschichte, aber wir waren jedenfalls erleichtert und zählten die Scheine, die verloren hätten sein können, es aber nicht waren.

Die Hunde jaulen den Vollmond an, das tun sie jeden Abend zur gleichen Zeit, aber nach einer Weile verstummt das Jaulen dann und sie rollen sich in Kuhlen auf dem Sandweg zusammen, wo sie die Nacht schlafend verbringen.     


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